Mittwoch, 22. September 2010

Inszenierte Wirklichkeit: Was ist eigentlich noch echt im deutschen TV?

Ich war gerade mit Christiana bei den Augsburger Mediengesprächen über Inszenierte Wirklichkeit. An sich hat sich eine angeregte Diskussion über Scripted Reality (also Formate, die aussehen wie Dokumentationen, aber vorgeschrieben wurden) und Castingshows entwickelt – nicht zuletzt durch die psychologische, bestimmte Endbetrachtung der vorurteilbehafteten und engstirnige Sichtweise manch anderer Gesprächsteilnehmer (mehr über die Teilnehmer hier). Am Ende sind dann aber doch ein paar Fragen offen geblieben.


Die Moderation übernahm der Medienkritiker Bernd Gäbler, der mir persönlich wenig objektiv und zu sehr oberlehrerhaft die Diskussion führte. Gemeinsam Dr. Alexander Kissler nahm er klar die gegnerische Haltung zur Reality Formaten ein. Beide klagten vor allem die geringe Transparenz darüber, welche Formate nun dokumentarisch (mit echten Familien) oder gescripted (mit Leihendarstellern und einem quasi-dokumentarischen Drehbuch) sind. Kissler fiel zudem durch seine Anklage an die schlecht gemachten und schlecht geschauspielten scripted Reality Formate auf, wobei der „Vortragskünstler“ gleichzeitig plump immer wieder Stellen aus seinem Buch zitierte. Auf der Seite der Medienmacher verteidigte Produzent Jürgen Erdmann diese Formate, die Bedürfnisse bei einem Publikum stillen, auf die nicht als Hartz IV Empfänger herabgeschaut werden soll, und gleichzeitig niemals so abrutschen, wie es beispielsweise Dieter Bohlens Kommentare bei DSDS tun (- hier wollten obengenannte gar nicht zwischen scripted Reality und Castingshow differenzieren). Den Projektions- und Trostgedanken bestätigte Dr. Maya Götz durch ihre Studien zur Medienrezeption von Kindern und Jugendlichen. Markus Grimm, Gewinner der vierten Staffel von Popstars erzählte von seinen enttäuschten Hoffnungen nach der Castingshow mit viel Reflektion und Selbstkritik. Gemeinsam mit Götz appellierte er an die Förderung von Medienkompetenz und dazu dem Schutz von Personen, die soviel Reflektion nicht schaffen (Stichwort geistig Behinderte). Die Diskussionsrunde komplettierte die Psychologin Angelika Kallwass zwischen Wissenschaft und Praxis, deren Sendungen zwar mit Laienschauspielern, aber ohne genaues Drehbuch archetypische, psychologische Probleme behandeln. Neben dem Beratungsaspekt ihrer Sendung, vertrat sie auch die echte Emotionalisierung, die ihre Laienschauspieler durchmachen und somit glaubhafter sein können, als so mancher Tatort. (Wobei der unpassende Tatortvergleich von Gäbler kam. Schließlich hat der Tatort schon ein ganz anderes Zielpublikum und nimmt gleichzeitig auch eine Skandalisierung vor.)


Schließlich haben wir uns gewundert, dass bei der ganzen Diskussion über Realität, der Realitätsbegriff selbst nicht angesprochen wurde. So können Medienprodukte kaum hunderprozentig die Realität abbilden (es sei denn vielleicht in Form einer Überwachungskamera). Auf der anderen Seite können fiktionale Formate näher an der Realität sein, als dokumentarische – auf die Manipulation so mancher Formate wurde zwar hingewiesen, jedoch nicht auf die Beziehung zwischen dieser Manipulation und der Realität.


In einem weitern Schritt hätte man außerdem stärker auf die Frage eingehen können, was ist nun der Effekt, falls jemand die Fiktion nicht von der Realität unterscheiden kann? Produzenten und Fernsehsender wurden zwar angegriffen, dass sie z.B. bei „Mitten im Leben“ erst ganz am Ende und viel zu unauffällig darauf hinweisen, dass die Figuren frei erfunden sind, ob es nun aber tatsächlich einen vorwiegend negativen Effekt hat, wurde nicht geklärt. Allein der Hinweis auf fehlende Studien bedeutet nicht, dass man nicht hätte Vermutungen darüber äußern können. Denn auch wenn die Grenze zwischen Realität und Fiktion in solchen Formaten verschwimmt, so zeigen sie ein klares Bild von Gut und Böse, das bei aller, angeblicher Morallosigkeit der Themen in einer stark moralischen Aussage mündet. Nämlich Gewalt, Drogen, Ignoranz sind schlecht, Freundschaft, Mitgefühl, Hilfe sind gut. Gleichzeitig bekommen aber Soapdarsteller, deren fiktionaler Charakter intrigant ist, Drohbriefe von Fans der Serie.


Und so hört sich die Zusammenfassung über den Abend bei der Augsburger Allgemeinen an: Mediengespräche: Wenn der Zoff Programm ist

Sonst war das Medienecho eher mau - komisch eigentlich.

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